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Kocher: Arbeitsmarktreform diskutieren

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Arbeitsminister schließt Notstandshilfe-Abschaffung aus - Zwischenergebnisse nach "Reformdialog" im Dezember, Gesetzesänderungen nächstes Jahr im 1. Quartal

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will bis Dezember die anvisierte "Arbeitslosenversicherung Neu" diskutieren. Die Ausarbeitung der Gesetzesänderungen soll nächstes Jahr im ersten Quartal erfolgen, ein Inkrafttreten der Arbeitsmarktreform ist dann noch für 2022 oder dann 2023 geplant. "Das Ziel wäre ein Reformpaket, das gut austariert ist", sagte Kocher am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Eine Abschaffung der Notstandshilfe schloss der Arbeitsminister aus.

Kocher will in den nächsten Monaten einen "Reformdialog" unter anderem zur Höhe der Arbeitslosenversicherung, Zuverdienstmöglichkeiten und Zumutbarkeitsbestimmungen führen. Auf konkret geplante Änderungen wollte sich der Arbeitsminister heute bei der Präsentation der Arbeitslosenzahlen im Bundeskanzleramt nicht festlegen. "Es macht keinen Sinn am Anfang einige Punkte herauszugreifen, ohne den Gesamtkontext zu sehen", sagte Kocher. "Es geht um ein Gesamtpaket." Ein degressives Arbeitslosengeld - zuerst mehr und dann weniger Geld - werde "Teil der Diskussion sein".

Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hatte in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" (Mittwochsausgabe) Plänen zu Verschärfungen beim Arbeitslosengeld eine Abfuhr erteilt. Mückstein will generell keine Verschlechterungen für Arbeitslose. Ein degressives Modell und Einschränkung des Nebenverdiensts für Arbeitslose kann er sich nicht vorstellen. AMS-Vorstand Johannes Kopf hatte sich kürzlich für eine Abschaffung des Dazuverdienens für Arbeitslose oder zumindest eine massive Einschränkung ausgesprochen.

Derzeit ist für Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezieher eine geringfügige Beschäftigung - maximal 475,86 Euro pro Monat - erlaubt und es erfolgt keine Anrechnung auf das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe. "Eine Reform, kann nicht dazu führen, dass die Armutsgefährdung steigt. Das wäre sicher nicht das Ziel", sagte Kocher am Mittwoch im "Ö1"-Mittagsjournal des ORF-Radio. Bei manchen Arbeitslosen sei die geringfügige Beschäftigung möglicherweise ein Hemmnis einen Vollzeit- oder Teilzeit-Job anzunehmen, bei anderen Gruppen sei es Armutsvermeidung.

Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist eine Arbeitsmarktreform nur angedeutet. Im Hinblick auf das Arbeitsmarktservice (AMS) heißt es: "Überprüfung und Überarbeitung der Instrumente im Hinblick auf Effizienz, Beschäftigungsanreize". Die Arbeitsmarktziele seien "auf nachhaltige Senkung der Arbeitslosigkeit zu fokussieren".

Weil die coronabedingt hohen Arbeitslosenzahlen nun deutlich gesunken sind, will Kocher über eine Arbeitsmarktreform diskutieren. "Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um einen breiten, fakten-und evidenzbasierten Reformdialog über die Gestaltung der Arbeitslosenversicherung Neu zu starten", sagte der Arbeitsminister. Ziel sei es "im Rahmen eines umfassenden Prozesses ein Modell zu erarbeiten, das die Vermittlung verbessert und gleichzeitig die Einkommen arbeitslos gewordener Personen besser absichert." In den nächsten Monaten will Kocher unter anderem Gespräche mit den Sozialpartnern, Parlamentsparteien, Wissenschaftern und Experten sowie Arbeitslosen führen. Auch die Arbeitslosenversicherung in anderen europäischen Ländern soll genau unter die Lupe genommen werden, etwa in Schweden.

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch forderte eine Pflegeoffensive sowie mehr Engagement gegen Langzeitarbeitslosigkeit und warnte davor, Zuverdienstmöglichkeiten zu streichen. "Ein paar hundert Euro Zuverdienst halten niemanden vom Arbeiten ab. Sie sind aber oft die einzige Möglichkeit - gerade für Menschen mit Handicaps - nicht komplett zu verarmen", so Muchitsch in einer Aussendung. "Die Zuverdienstmöglichkeit zu streichen schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Es ist nur der nächste Schritt in die Armutsfalle." Die FPÖ drängt auf eine Offensive für mehr neue Arbeitsplätze und lehnt Verschärfungen für Arbeitslose ab. "Diese schwarz-grüne Regierung und insbesondere der Arbeitsminister haben die Verpflichtung, die Lebenssituation der arbeitenden Menschen in unserem Land zu verbessern", so FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. Arbeitnehmer dürften nicht "noch mehr unter Druck" gesetzt werden. ÖVP-Klubobmann und Sozialsprecher August Wöginger und der ÖVP-Wirtschaftsbund begrüßten die anvisierte Reform der Arbeitslosenversicherung.

Die Gewerkschaft will mit Kocher über Reformen am Arbeitsmarkt diskutieren. "Kürzungen wird es mit uns aber sicher keine geben, denn Arbeitslose müssen vor Armut geschützt werden", so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Die Gewerkschafter fordern eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Derzeit liegt die Nettoersatzrate ohne Familienzuschläge bei 55 Prozent. Die Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung lobten den geplanten Arbeitsmarkt-"Reformdialog". "Umso wichtiger ist es für den Arbeitsmarkt, dass sich dieser Schwung fortsetzt und nicht durch den zunehmenden Fachkräftemangel gebremst wird", sagte WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf. "Um im Bereich der Arbeitslosigkeit wieder in das europäische Spitzenfeld aufzuschließen - wo wir schon waren -, wird es einer umfassenden Arbeitsmarktreform bedürfen", so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.

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